Drei auf einen Schlag

Schlag auf Schlag: Das German Sailing Team feiert drei Medaillen binnen vier Stunden

Den 3. August Tag werden Deutschlands Olympiaseglerinnen und -segler so schnell nicht vergessen. Binnen nur vier Stunden gewannen die Crews des German Sailing Teams drei Medaillen. Den historischen Erfolgstag läuteten die 49erFX-Seglerinnen Tina Lutz und Susann Beucke mit einem formidablen Finale ein, in das sie als Dritte gestartet waren und sich sogar noch steigern konnten. Mit Silber krönten die Steuerfrau vom Chiemsee Yacht-Club und ihre Vorschoterin vom Norddeutschen Regatta Verein ihre 14-jährige Partnerschaft, in der sie Tiefschläge und Höhenflüge erlebt, aber nie ihr Ziel aus den Augen verloren haben. „Irgendwann zahlt es sich aus“, hatte Tina Lutz vor den Olympischen Spielen noch einmal ihr Motto bekräftigt. Nach zwei verpassten Olympia-Qualifikationen war es dem bayerisch-norddeutschem Duo im dritten Anlauf gelungen, sich für das wichtigste Sportereignis ihrer Karriere zu qualifizieren. 

49erFX: „Tina war unglaublich mutig heute“
Die selbst erarbeitete Chance nutzten die Skiff-Seglerinnen konzentriert und überzeugend. „Die größte Herausforderung bestand darin, vor und im Finale nicht an die Medaillen zu denken, denn sonst kann ich nicht mehr segeln, weil der Druck einfach zu groß wird“, erzählte Tina Lutz nach Segelkrimi Nummer eins an diesem Dienstag. Die wichtigste Kraft ihres Teams beschrieb Susann Beucke: „Es gibt einfach nicht so viele, die einen so langen Weg voller Höhen und Tiefen miteinander gehen.“ Gemeinsam haben die beiden 30-jährigen Top-Athletinnen der olympischen DSV-Flotte nun den Gipfel ihrer Partnerschaft erklommen. „Tina war unglaublich mutig heute“, zollte Beucke ihrer Steuerfrau Respekt. Mit ihrem britischen DSV-Trainer Ian Barker, selbst im 49er Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele 2000, fanden Lutz/Beucke vor rund zwei Jahren den richtigen Coach für ihre Ansprüche. Als Trio gelang es dem Team, das Speedpotenzial erheblich zu verbessern – eine der Grundlagen für den Erfolg. Olympiasiegerinnen im 49erFX wurden erneut die Brasilianerinnen Martine Grael und Kahena Kunze vor den deutschen Frauen und den Holländerinnen Annemiek Bekkering und Annette Duetz, die als Spitzenreiterinnen ins Finale gestartet waren, ihre Top-Position aber gegen Grael/Kunze und Lutz/Beucke nicht hatten verteidigen können.

Lutz/Beucke nach vollbrachter Medaillentat am Weg in den Segelhafen von Enoschima. (Foto: Sailing Energy/World Sailing)

49er: „Diese Medaille ist viel mehr wert als die erste“
Für ein Happy End im Segelkrimi zwei sorgten kurz nach den Frauen die deutschen Skiff-Männer: Erik Heil und Thomas Plößel (Norddeutscher Regatta Verein) hatten an diesem Tag unter den drei deutschen Medaillenjägern die schwerste Aufgabe zu lösen, weil sie „nur“ als Gesamt-Vierte ins Finale starteten. Den in Kiel lebenden Steuermann und seinen Vorschoter aus Hamburg hat die Ausgangssituation ganz offensichtlich beflügelt: Der 31-jährige Heil und sein 33-jähriger Vorschoter brillierten mit herausragendem Speed und lieferten sich bis ins Ziel ein packendes Duell mit den Briten. Der Zweikampf ging zwar laut Erik Heil mit 30 Zentimetern Rückstand verloren und machte die Briten Dylan Fletcher/Stuart Bithell statt den favorisierten Neuseeländern Peter Burling/Blair Tuke zu Olympiasiegern. Doch mit ihrem unwiderstehlichen Ritt über den Finalkurs „Enoshima“ holten sich die in Berlin geborenen Skiffsegler noch die ersehnte Medaille – die zweite bronzene nach der unvergesslichen Olympia-Premiere in Rio de Janeiro. „Diese Medaille ist uns viel mehr wert als die erste“, sagte Thomas Plößel mit Hinweis darauf, wie schwer sie zu gewinnen war. Gleichzeitig erwiesen sich die deutschen Trainingspartner von Diego Botin Le Chever und Iago López Marra als faire Gewinner im Duell mit den spanischen Freunden und Gegnern. Heil, der wie Plößel das Segeln im Tegeler Segel-Club gelernt hat und dort von Jugendtrainer und Mentor Michael Koster mit seinem Vorschoter vor 20 Jahren in ein Boot gesetzt wurde, sagte: „Es tut uns leid, dass die beiden keine Medaille gewonnen haben. Sie hätten es verdient, zählten in dieser Saison immer zu den Besten.“ Den Erfolgstag des German Sailing Teams mit insgesamt drei Medaillen nannte Heil einen „Giganten-Tag für den deutschen olympischen Segelsport.“

Wenn es darauf ankommt, schlagen sie zu: Zum zweiten Mal Bronze für Heil/Plössel im 49er! (Foto: Sailing Energy/World Sailing)

Nacra 17: „Der Wert dieser Medaille ist unermesslich“
Dazu trugen nachhaltig auch Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer bei: Die jungen Nacra-17-Segler aus Kiel hatten ihre gemeinsame Olympia-Premiere von Beginn an in den Top Drei bestritten. Die Mixed-Crew vom Kieler Yacht-Club bot der Weltelite im foilenden Katamaran mehr als nur Paroli. Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer – das war täglich zu sehen – sind selbst in der Weltspitze angekommen. „Diese Bronzemedaille bedeutet uns das Zigfache von allem, was wir bislang erreicht haben“, sagte der 26-jährige Steuermann am Abend nach der Medaillenzeremonie im Olympiahafen. Alica Stuhlemmer fand kaum Worte dazu und sagte: „Der Wert dieser Medaille ist unermesslich.“ Kohlhoff räumte ein: „Der Druck war die ganze Woche unheimlich hoch, weil wir große Erwartungen an uns selbst hatten und hier eine Medaille gewinnen wollten.“ 

Dass die zweitjüngste Crew der Nacra-17-Flotte dieses Ziel tatsächlich erreichen konnte, spricht für die so fokussiert operierenden Norddeutschen. Kohlhoff fand am Abend auf dem Weg mit allen sechs segelnden deutschen Medaillengewinnern ins ZDF-Sportstudio in Tokio Zeit zum Reflektieren und sagte: „Im Medaillenrennen heute wollte uns mehr als eine andere Nation die Medaille gerne noch entreißen. Es ist Wahnsinn und unbeschreiblich, dass wir sie festhalten und gewinnen konnten. Die insgesamt drei Medaillen sind ein starkes Zeichen an die anderen Nationen und an Segeldeutschland, dass der DSV und unsere Förderer verdammt gute Arbeit geleistet haben. Und das alles in einem sehr schwierigen Umfeld. Was hier an Vorarbeit geleistet wurde, war hochprofessionell.“ Marcus Lynch, Nacra-17-Coach und Performance Manager im German Sailing Team, sagte über seine Schützlinge: „Die beiden agieren mit klarem Kopf, sehr fokussiert und halten sich gut an die Regeln, die wir gemeinsam im Team entwickelt haben. Sie haben in den vergangenen eineinhalb Jahren intensiv daran gearbeitet, in allen Bedingungen schnell zu sein. Auch das war ein wichtiger Baustein für den Medaillenerfolg.“

Von Anfang an in den Top-3 und am Ende komplettieren Kolhoff/Stuhlemmer den Bronzenen Medaillenregen im DSV. (Foto: Sailing Energy/World Sailing)

Ein Tag mit Strahlkraft über den olympischen Segelsport hinaus
DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner und ihr Team in Enoshima konnten mit den Athletinnen und Athleten einen historischen olympischen Tag feiern. Immer wieder wehten die deutschen Flaggen an der Rampe im Olympia-Hafen, immer wieder brandete Jubel auf, wenn eine weitere deutsche Erfolgs-Crew vom Wasser kam. Die Olympia-Dirigentin des German Sailing Teams sagte am Abend in Japan: „Das war ein fast unglaublicher Tag. Wenn man weiß, wie viel harte Arbeit von so vielen Menschen in jeder einzelnen Medaille steckt, dann war das die verdiente Belohnung! Mich freut es sehr, dass heute alle ihre Leistungen zeigen konnten, als es darauf ankam. Ich bin seit 13 Jahren dabei. Wir haben in dieser Zeit mit dem gesamten German Sailing Team sehr intensiv gearbeitet und vieles vorangebracht. Heute sind wir stolz auf unsere Teams.“

Torsten Haverland, seit 12 Jahren DSV-Vizepräsident für den olympischen Leistungssport, hat in Deutschland mitgefiebert und freut sich: „Dieser Tag wird in Erinnerung bleiben. Er hat Strahlkraft über den olympischen Segelsport hinaus in die gesamte olympische Sportfamilie.“

Titelfoto: Sailing Energy/World Sailing

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